JUNI 2024
Seit zwei Monaten unterstützt Lilly das Shomali-Studentinnen-Projekt mit ihrer Frische und ihrer Expertise. Sie ist Studentin der Medizin an der Universität in Hamburg Eppendorf. “Unsere” Ärztin (MD) Zara in Afghanistan wurde von Lilly interviewt. Es ist sehr eindrücklich was sie berichtet. Lesen Sie selbst.
Lilly: Stelle dich bitte vor!
Zara: Ich bin Dr. Zara, Gynäkologin aus Parwan in Afghanistan. Seit etwa 15 Jahren kann ich mich glücklich schätzen, finanziell durch die DAI unterstützt zu werden – dies war und ist wirklich wegweisend für meine Entwicklung und meine Karriere.
Über dieses Interview möchte ich mich näher vorstellen und gleichzeitig meine jahrelange Dankbarkeit der DAI gegenüber aussprechen.
Lilly: Erzähle uns deine Geschichte: Wo bist du aufgewachsen? Was sind Meilensteine in deinem bisherigen Leben gewesen?
Zara: Als Schülerin lebte ich in einem Dorf in der afghanischen Provinz Parwan. Mein Vater verstarb, als ich noch ein Kind war – meine Mutter blieb allein mit fünf Kindern zurück, die sie nun großzuziehen hatte. Wir durchlebten viele finanzielle und soziale Probleme und hatten es schwer, unser Leben aufzubauen.
Die DAI begann uns in dieser belastenden Phase zu helfen und uns den Alltag zu erleichtern. Die für mich angebotene finanzielle Unterstützung investierte ich größtenteils in meine Bildung, aber auch meine restliche Familie profitierte sehr davon. Zu dieser Zeit war ich gerade dabei, intensiv für die Schule zu lernen und mich auf die Aufnahmeprüfung der Universität vorzubereiten.
Nach meinem Schulabschluss und dem erfolgreich bestandenen Aufnahmetest begann ich, an der A. University in der Provinz K: Medizin zu studieren. Durch die weite Trennung von meiner Familie und die weiten Arbeitswege wechselte ich nach zwei Jahren an die K. University. Vor kurzem machte ich dort auch meinen Abschluss (MD).
Lilly: Du hast bereits die DAI und deren Arbeit erwähnt – Wie genau unterstützt der Verein dich und deine Familie?
Zara: Vor etwa 15 Jahren begann die Unterstützung, zu diesem Zeitpunkt war ich noch Schülerin. Durch Gelder, die uns jedes Quartal erreichten, konnten wir Bücher, Kleidung und unseren Alltag finanzieren.
Lilly: Kommen wir zurück zum Hier und Jetzt: Wie ist deine aktuelle Lebenssituation, wie verbringst du deine Zeit? Wie würdest du deinen „Lifestyle“ beschreiben?
Zara: Ich arbeite in einer Klinik unter der Betreuung einer Expertin für Gynäkologie und Geburtshilfe, von ihrer Erfahrung profitiere ich sehr. Außerdem bilde ich mich gerade in Ultraschall-Untersuchungen weiter.
Ich versuche, so gut wie möglich durch die für Afghanistan so schwere Zeit zu kommen und mich durch die politische Situation nicht schwächen zu lassen.
Die Klinik, in der ich arbeite, ist zwei Stationen von meinem Zuhause entfernt – wenn ich nicht vor dem Abend zuhause sein sollte, ist es mir nicht möglich, allein den Weg anzutreten. In diesem Fall muss mich einer meiner Brüder abholen, denn abends darf eine Frau nicht alleine ohne einen Mahram unterwegs sein. Würde ich trotzdem alleine nach Hause fahren, würde ich mich nicht sicher fühlen.
Lilly: Kommen wir zurück zu deiner Karriere: Wann und warum hast du dich entschieden, Medizin zu studieren und Gynäkologin zu werden? Was macht diese Fachrichtung so besonders für dich?
Zara: Schon in der Kindheit hatte ich das Verlangen, mir Wissen anzueignen und mich weiterzuentwickeln. Es war einfach klar und zugleich ein Traum für mich, eines Tages Ärztin zu werden. Meine wundervolle Familie, der sich sehr dankbar bin, tat alles in ihrer Macht Stehende, um mir dies zu ermöglichen und die Vision wahr werden zu lassen.
Einer der Hauptgründe, weshalb ich mich für die Gynäkologie und Geburtshilfe entschieden habe, ist, dass Afghanistans Gesundheitssystem definitiv mehr Frauen braucht. In den Provinzen ist die Sterberate junger Mütter sehr hoch, ebenso gibt es keine medizinische Unterstützung vor, während und nach Geburten. Ich möchte mit meinen Kenntnissen einen direkten positiven Einfluss haben und diese großen Probleme mindern.
Lilly: Wie ist es, in Afghanistan Medizin zu studieren und in diesem Feld zu arbeiten?
Zara: Aktuell arbeite ich im A. Hospital in D. und lerne dort viel an medizinischem Fachwissen dazu. Im Rahmen des Studiums konnte ich durch Praktika in verschiedenen Kliniken bereits Erfahrungen sammeln, wie etwa im A. Hospital, M. Hospital, S. Hospital und E. Hospital. Dort habe ich hauptsächlich an Visiten teilgenommen und Behandlungsmethoden kennengelernt, auch bei schwierigeren Patientenfällen.
Lilly: Gibt es seit der Machtübernahme durch die Taliban Veränderungen, spezielle Regularien für Frauen?
Zara: Als die Taliban kamen, wurden zunächst die Schulen geschlossen, später auch die Universitäten. Wenn wir dennoch zur Uni kamen, mussten wir uns vollkommen verschleiern – dies wurde an der Eingangspforte sogar kontrolliert. Der Großteil der Uni wurde den Männern zugesprochen, für uns Frauen blieben nur ein paar wenige Räume übrig.
In den Krankenhäusern wurden Männer und Frauen auch separiert, wir durften „die andere Seite“ nicht einmal betreten. Mitglieder der Taliban tauchten sogar in OP-Sälen auf und kontrollierten, dass kein männlicher Chirurg eine Frau operiert.
Auch in meiner aktuellen Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe kontrollierten Offiziere vom Ministry of Amre Belmarof monatlich, dass wir Ärztinnen voll verschleiert sind und keinen Kontakt zu männlichen Ärzten oder Patienten haben.
Es gibt in der Tat einen signifikanten Unterschied zwischen den Regeln der Taliban und der vorherigen Regierung. Wenn wir nur den Gesundheitssektor betrachten, befinde ich mich in einer ungewissen Situation: Ich darf nicht arbeiten und das Abschlussexamen ablegen, um mich zu spezialisieren. Jedoch habe ich auch keine finanziellen Mittel, um im Ausland zu studieren oder dort tätig zu sein. Dies belastet mich wirklich.
Lilly: Gab es auch spezielle Restriktionen während der Corona-Pandemie?
Zara: Seitens der öffentlichen Regierung gab es kaum Einschränkungen. Unsere Kurse an der Universität wurden online gehalten, Prüfungen wurden in Präsenz abgelegt.
Lilly: Vielen Dank für deine wertvolle Zeit und dass du deine bewegende Geschichte mit uns geteilt hast. Eine für heute abschließende Frage: Was sind deine Zukunftspläne und Visionen?
Zara: Ich habe viele Zukunftspläne und Visionen. Vor allem möchte ich mit meinem Fachwissen und meinen Skills in der Medizin vorankommen und erfahrener darin werden. Somit wird es mir möglich sein, Mädchen, Frauen und Familien in Not sehr helfen zu können.
Ich möchte mein Wissen auf ein exzellentes Level bringen und die Versorgung in Afghanistan vorantreiben, gar revolutionieren – die hohe Sterberate bei Geburten reduzieren, Aufklärungsprogramme etablieren und insbesondere die Situation für Schwangere in den Provinzen bessern.
Abschließend möchte ich meinen tiefsten Dank der DAI und allen, die mich bisher in meinem Werdegang unterstützt haben, aussprechen. Eure Hilfe ist von unschätzbarem Wert, ich habe großen Respekt und bin sehr dankbar für all die Chancen, die ihr mir ermöglicht habt. Vielen Dank für euer Vertrauen und die Investitionen in mich, damit ich meinen Traum verwirklichen kann.
Dr. Zara
März 2023
Die aktuelle Lage für Studentinnen in Afghanistan hat sich seit Beginn des neuen Semesters im Frühjahr 2023 LEIDER nicht geändert. Nach wie vor werden die jungen Frauen von Bildung ausgeschlossen. Mit der großzügigen Zusage der Vorstandschaft der DAI, das Shomali-Studentinnen-Projekt (SSP) weiterhin zu fördern und die Mittel zum Erwerb von 16 Tablets zur Verfügung zu stellen, sehen wir jedoch einen HOFFNUNGSSCHIMMER am weiten Horizont.Wir haben die Zeit über den Winter genutzt den Rahmen vorzubereiten, der es den jungen Frauen ermöglichen soll, sich weiterhin Wissen anzueignen und die Grundlagen zu schaffen, um an einer online-Universität ihre Studien in Zukunft betreiben zu können:
Unser Mitarbeiter in Afghanistan hat von den großzügigen Spenden der Patinnen und Paten und weiteren Zahlungen 16 Tablets samt Internetzugangsmöglichkeit und Schutzhüllen gekauft. Diese werden zurzeit an die Studentinnen leihweise ausgeteilt.
Die Übergabe und Überlassung ist verbunden mit einem ausführlichen Gespräch, das unsere „neu“ gewonnene Mentorin vor Ort mit der jeweiligen Studentin führt. Dieses Gespräch soll die ganz individuelle Situation und den passgenauen Unterstützungsbedarf jeder einzelnen Studentin deutlich machen.
Die Studentinnen haben dann die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in Englisch (EN) und Informationstechnologie(IT) auf den Stand zu bringen, der erforderlich ist, um an einer online-Universität zugelassen zu werden. Auch dafür konnten wir 1-2 Lehrkräfte gewinnen, die vor allem das Selbststudium und die Eigeninitiative der Studentin unterstützen sollen.
Die Mentorin ist zudem verantwortlich für die Vernetzung unter den Studentinnen und auch für den Netzaufbau von den Studentinnen zur DAI. Unterrichtssequenzen zwischen den Lehrkräften und den Studentinnen werden zeitweise „besucht“ von den Projektverantwortlichen (siehe ANSPRECHPARTNERINNEN)
Auf dem Foto – die Gesichter haben wir unkenntlich gemacht zum Schutz der Frauen – sehen Sie unsere Mitarbeiterin mit einer Studentin, die sich mit dem Tablet-Leihvertrag beschäftigt.
Wir wünschen den Studentinnen ein gutes „Vorankommen“ auf ihrem Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft. Nur mit ihrer Beteiligung auf Augenhöhe wird auch Afghanistan aufblühen.